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Mila

Ich sitze auf der obersten Stufe der Metalltreppe, eine dampfende Teetasse zwischen den Händen und betrachte die Stadt, welche mir scheinbar zu Füßen liegt. Es ist dunkel, doch die unzähligen Lichter erwecken den falschen Eindruck von Helligkeit und damit verbundener Sicherheit. Wenn ich nach vorne blicke, sehe ich schwarze Umrissen von Gebäuden, große, kleine, für meinen Geschmack eigentlich viel zu viele auf zu engem Raum. Und doch liebe ich diese Enge der Steinbauten. Es ist ein unnatürliches gelbstichiges Licht, dass dieses Bild beleuchtet, der Schein wirkt ungesund. Doch er gehört zu meiner Stadt dazu.

Für mich ist der Anblick der Stadt, die in jenes seltsame Licht getaucht ist, normal. Ich kenne es nicht anders, denn ich lebe schon immer an diesem Ort. Nicht genau hier, in der Wohnung zu der die Treppe, auf der ich sitze, gehört, aber doch hier, in der immer selben Stadt. Ich habe diesen Ort noch nie in meinem Leben verlassen. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich es jemals schaffen werde. Hier hat mein Leben begonnen. Es gab gute Momente, schlechte und auch Momente, die mich in meinen Träumen bis heute verfolgen. Das ist auch der Grund, weshalb ich meist nachts hellwach bin und, wenn es denn wirklich unvermeidlich ist,  tagsüber schlafe. Wenn die Erinnerungen in diesen unkontrollierbaren Zeiten über mich kommen, hilft mir die Helligkeit der Sonne beim Aufwachen die Schreckensbilder schneller abzuschütteln.

Ein tiefes Maunzen hinter mir reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist Oz, mein Waldpanther. Langsam streiche ich ihm über sein samtiges schwarzes Fell und er lässt sich zu meinen Füßen nieder. Er ist ein besonderes Haustier, denn seine Mutter ist eine Waldkatze, sein Vater hingegen einer der letzten Panther, die bis vor einiger Zeit noch hier außerhalb der Stadtgrenzen lebten. Oz hat inzwischen die Größe eines mittelgroßen Hundes und mir schon öfter als einmal die Luft geraubt, wenn er sich wie früher, als er noch klein war, auf meinem Bauch zusammenrollen wollte. Ich liebe ihn, denn er steht mir zur Seite seit ich hier eingezogen bin. Als ich das erste Mal die Tür zu dieser Wohnung öffnete, saß er als kleines schwarzes Wollknäuel auf der Fensterbank. Und er ist einfach geblieben. Heute weiß ich, dass hat einen guten Grund. Ich erinnere mich daran, dass ich abends auf der Couch lag, mein namenloser neuer Mitbewohner auf mir und ich den Fernseher einschaltete. Der erste Kanal der ansprang zeigte einen wirklich uralten Film, den "Zauberer von Oz". Bevor ich noch umschalten konnte sprang das schwarze Knäuel wie ein Blitz von mir herunter und stand wild fauchend vor dem Gerät, welches gerade den ängstlichen Löwen zeigte, der sich so sehnsüchtig nach Mut sehnte. Na ja, und ab diesem Moment nannte ich ihn Oz.

Der Kater sitzt neben mir auf der Treppe, stolz wie eine ägyptische Gottheit. Seine grünen Augen beobachten die Nacht, genau wie meine. Wieder einmal kommt mir der Gedanke, dass wir uns ähnlich sind, er und ich. Von unserem Wesen und auch von manchem Verhalten. Bei dem Gedanken muss ich lächeln.

Ich heiße übrigens Mila. Als ich vor einem Jahr endlich einundzwanzig wurde und es mir damit offiziell erlaubt war in eine eigene Wohnung zu ziehen, habe ich das sofort getan. Natürlich war meine Granny ein wenig traurig über mein Fortgehen, aber sie wusste auch, dass ich ab sofort meinen eigenen Weg finden musste. Und ich meine, sie hat mich darauf so gut sie konnte vorbereitet. Meine Granny ist eine Almarondona, ebenso wie ihre Tochter, nämlich meine Mutter, eine war. Und ich bin auch eine. Unsere Familie gehört damit von weiblicher Seite her schon über Generationen zu den sogenannten Magiales. Wir sehen aus, wie normale Menschen, welche von Mitgliedern der Magiales als Hombriales bezeichnet werden, doch wir besitzen Fähigkeiten, die den Menschen nicht inne wohnen.

Und als ob das nicht schon genug wäre, fließt in meinen Adern noch ein weiteres Erbe, nämlich die Magie. Mein Vater war ein Hexer und hat mir seine Fähigkeiten ebenfalls hinterlassen. Das ist eine ungewöhnliche Zusammensetzung, auch für die Welt der Magiales. Denn normalerweise ist immer nur ein Teil einer Familie mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet, entweder die weibliche oder die männliche Linie. Damit soll die Reinheit der Fähigkeiten erhalten bleiben. Doch meine Eltern haben gegen diese ungeschriebene Regel verstoßen und damit in Kauf genommen, dass bei mir beide Linien zusammen fallen könnten. Und das Schicksal hat dann, warum auch immer, beschlossen, mich mit den Fähigkeiten einer Almarondona und der Magie auszustatten. Leider beherrsche ich den väterlichen Teil von mir nicht wirklich, da niemand mehr da war, der mich die Anwendung dieser Kräfte ausreichend hätte lehren können. Manchmal fällt die Magie einfach über mich her und macht mich zu ihrem Spielzeug. Daher ist es nun wichtig, diesen Teil von mir genauer kennen zu lernen. Bisher habe ich das immer verdrängt und anderen Dingen den Vorrang gegeben. Doch nun, da ich meinen Abschluss in der Tasche habe, mein eigenes Geld verdiene und für mich selbst verantwortlich bin, kann ich diesen Teil meines Inneren nicht länger verleugnen.

Doch nicht heute Nacht. Ich stehe auf, was von Oz mit einem leicht vorwurfsvollen Maunzen kommentiert wird, und gehe in die Wohnung. Nachdem ich die leere Teetasse auf der Küchentheke abgestellt habe, gehe ich weiter in mein kleines Schlafzimmer, um mir meine Trainingsklamotten anzuziehen. Ich schlüpfe in eine schwarze Jogginghose, ein Top und ziehe meine liebste Sweatjacke über, unter deren Kapuze ich meine Haare, aber auch mein Gesicht vor neugierigen Blicken verbergen kann. Als alle Lichter gelöscht sind, gehe ich die Metallstufen der Außentreppe hinunter, bis meine Füße den kalten Asphalt berühren. Und ich laufe los hinaus in die Nacht.

 

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Huck

Es ist Montag, der schlechteste Tag für mein Geschäft. Ich hasse den Montag, gleichzeitig warte ich nach den ereignisreichen Wochenendtagen auch darauf. Das Partyvolk fehlt, nur vereinzelt halten sich Leute an der Bar auf, die Tanzfläche ist leer, so dass sich nur die flackernden Lichter in vorgegebener Reihenfolge auf dem Boden spiegeln. Ein gelangweilter Seufzer entfährt mir unwillkürlich als ich meinen Blick über die unbesetzten Tische und die Bühne schweifen lasse. Trotz des geringen Publikums versucht Katey hinter dem Tresen gute Stimmung zu verbreiten. Dieses Mädchen tut meinem Geschäft gut, denn sie besitzt hell strahlendes Almaron. Natürlich können es die Gäste im Gegensatz zu mir nicht sehen, aber sie spüren es. Deshalb fühlen sich alle sofort zu ihr hingezogen. Gerade als ich meine Augen weiter wandern lassen will, lenkt eine mir nur zu bekannte Bewegung meine Aufmerksamkeit auf eine Gestalt an der Bar. Ehe die Drehung dieser Hand zu Ende gebracht ist, stehe ich schon neben dem Mann, der auf lächerliche Weise versucht seine Person mit einem langen Trenchcoat unkenntlich zu machen.

"Noch eine weitere Bewegung" knurre ich und mustere ihn scharf, "und du wirst diese Hand nie wieder benutzen können! Weder im normalen Leben, noch für das, was du gerade tun wolltest!"

Der Typ hält inne und dreht sich zu mir, um mir ins Gesicht zu sehen. Er muss seinen Blick nach oben wenden, denn ich habe mich in meiner ganzen Größe vor ihm aufgebaut. Meine Gestalt lässt die seine im Schatten verschwinden.

"Was willst du? Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß!"

"Das hier IST mein verdammter Scheiß, du Freak!"

Meine Stimme ist tief und bedrohlich, ebenso wie meine gesamte Körperhaltung. Der Typ vor mir scheint allerdings nicht von der hellsten Sorte zu sein, denn er wagt es wirklich, seine Fäuste gegen mich zu erheben. Wie lächerlich. Doch es macht den bisher öden Montag ein wenig interessanter. Aber ich muss mich zurücknehmen, wir haben Publikum und ich möchte kein unnötiges Aufsehen erregen. Also fange ich seine unkontrollierten Schläge auf der Hälfte des Weges zu mir ab und verdrehe ihm unsanft die Arme auf den Rücken. Er hat keine Chance in irgendeiner Weise auf meine Geschwindigkeit zu reagieren. Wie gesagt: lächerlich. In dieser verschlungenen Haltung schiebe ich ihn unsanft zum Ausgang. Ich spüre das uns Blicke verfolgen. Als ich mich vor der Tür umsehe, stelle ich fest, dass kein Mensch auf der Straße ist. Ich schubse diesen Freak von mir und er dreht sich wie ein wütender Stier in meine Richtung.

"Dich mach ich fertig!" zischt er zwischen den Zähnen hervor. "Du hast ja keine Ahnung, mit wem du dich gerade angelegt hast!"

Mein freudloses Lachen reizt ihn offensichtlich noch mehr, denn ohne Vorwarnung stürzt er in meine Richtung. Na gut, er will es ja nicht anders. Unter seinem ersten Schwinger ducke ich mich locker hinweg und auch dem nachfolgenden Arm weiche ich schlicht aus.

"Bist du dir ganz sicher, dass du das tun willst?"

Meine Stimme ist ruhig. Okay, ich habe ihn gewarnt, doch er versteht es mit seinem beschränktem Geist wohl nicht. Wäre ich nicht ich, würde er mir fast leidtun. Sein Almaron umgibt ihn nur noch wie ein schwacher grauer Dunst. Zja, Pech für ihn. Ich bin nun mal ich, mir ist langweilig und ich hasse es, wenn solche Typen wie er versuchen in meinem Gebiet diesen Mist abzuziehen. Als er erneut auf mich zukommt, spanne ich meine Muskeln an und er läuft mir direkt in die rechte Faust. Er taumelt und noch während er versucht sich zu fangen, folgt meine Linke und lässt ihn, getroffen in der Magengrube, wie eine Puppe zusammenklappen. Als er nun so vor mir auf der kalten leeren Straße auf dem Boden kniet und ächzend nach Luft schnappt, hebe ich mit meiner Hand sein Kinn an und zwinge ihn, mir ins Gesicht zu sehen.

"Ich glaube, DU hast keine Ahnung, mit wem du dich angelegt hast!" erklingt meine Stimme. Leise und bedrohlich. "Sieh mich an, Freak! Du weißt nicht, WER ich bin, aber schau mir in die Augen und du wirst erkennen, WAS ich bin!"

Mein Blick fixiert ihn und an der Weitung seiner Pupillen sehe ich, dass er mein inneres Wesen erkannt hat. Und nun zeigt er endlich das gebührende Verhalten: Angst.